Der ausgeladene Ehrengast – Bürger (doch) nicht erwünscht

Von der Netzgemeinde wurde er mit Spannung erwartet, dieser besondere Gast: der 18. Sachverständige der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Doch er kam nicht. Schlimmer noch, er wurde wieder ausgeladen.

So geschehen am 26. Januar 2011. Der Ältestenrat hatte beschlossen noch einmal zu prüfen, ob dieser Ehrengast wirklich nötig sei. Diplomatische Schwierigkeiten hat man in Berlin dennoch nicht zu befürchten: Der ausgeladene Gast ist das Volk, der 18. Sachverständige das Souverän.

Rückblick: Im September 2010 kündigte die Kommission euphorisch die Einführung des Adhocracy-Systems an, mit dem es Bürgerinnen und Bürgern möglich sein soll, online Position zu beziehen, diese zu kommunizieren und somit aktiv auf die demokratischen Prozesse einzuwirken. Axel E. Fischer (CDU), Vorsitzender der Kommission, schrieb ebenfalls im September im Enquete-Blog: „Adhocracy bietet die Möglichkeit von Abstimmungen, dem Bewerten, Kommentieren und gemeinsamen Erarbeiten von Texten. Bürgerinnen und Bürger können sich je nach eigenem Interesse entscheiden, wie und in welchem Umfang sie sich beteiligen wollen: Der „18. Sachverständige“ kann eigene Vorschläge einbringen, aber auch Texte bewerten, konkret inhaltlich mitarbeiten beziehungsweise darüber abstimmen.“

Dies alles vorerst nur im Rahmen der Enquete-Kommission, aber durch das neue System dennoch näher und direkter, als es die Online-Petition des Bundestages bislang konnte. Die Netzgemeinde war begeistert. Am 26. Januar 2011 jedoch wird der Plan gekippt. Die „Kommission für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und Kommunikationsmedien“, ein Unterausschuss des Ältestenrates, legt das Beteiligungsprogramm auf Drängen von Schwarz-Gelb auf Eis. Der erklärte Grund: die Kosten von bis zu 80.000 €.


Was ist der Kommission die Stimme des "18.Sachverständigen" wert?

Was ist der Kommission die Stimme des „18.Sachverständigen“ wert? (Foto: Thorsten de Jong / pixelio.de)

Angst vor der eigenen Courage?

Aber sind es wirklich die Kosten der Software und des Betriebs, welche die Abgeordneten so fürchten? Gerade in Anbetracht der Lobeshymnen, die noch im letzten September erklangen. In einer Erklärung wurde abermals Axel E. Fischer (CDU) zitiert: „Mit der Beteiligungsplattform beschreitet die Enquete-Kommission neue Wege. (…) Neben der Möglichkeit online Petitionen einzureichen, wird der Bundestag nun den Sachverstand der Bürgerinnen und Bürger auf direktem Wege einholen. Alle Fraktionen haben heute einstimmig den Beschluss gefällt, den „18. Sachverständigen“ noch besser in die Arbeit der Internetenquete einzubeziehen. Wir freuen uns auf diese neue Form des Dialogs.“


Und nun ist alles anders? Einen solchen Kommunikationsspagat hat es wirklich selten gegeben. Der düpierte Ehrengast indes hat sich mit der Opferrolle nicht anfreunden können und wurde selbst aktiv. Der „18. Sachverständige“ wird seit der Aufschiebung durch den Rat inoffiziell und außerhalb des Angebotes des Bundestags betrieben. Dort haben sich bis jetzt 82 Mitglieder zusammengefunden. Unter ihnen auch Mitglieder der Enquete-Kommission welche die Blockade nicht gutheißen, wie zum Beispiel die Linken-Abgeordnete Halina Wawzyniak.

Wie viele Menschen das Netz innerhalb kürzester Zeit mobilisieren kann, haben die „Grüne Revolution“ in Iran und zuletzt die Proteste in Ägypten deutlich gezeigt. Hierzulande wurden Studentenproteste über Twitter und Facebook organisiert, die „Zensursula“-Debatte erhitzte die Gemüter der Netzgemeinde und Horst Köhler stolperte schließlich über eine Äußerung, die von den klassischen Medien zunächst unbemerkt und erst durch aufmerksame Blogger in den medialen Fokus rückte.

Das Potenzial zur Mobilisierung aber auch zur Partizipation ist den Abgeordneten aller Fraktionen durchaus bekannt. Bereits 2005 gelangte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) zur der Erkenntnis: „Das Internet eröffnet als interaktives Medium grundlegende Kommunikationsmöglichkeiten neu und ist damit auch demokratietheoretisch relevant. Dies betrifft vor allem die Konstituierung von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeiten und die Möglichkeiten politischer Information, Deliberation und Partizipation.“

Was tun, wenn das Souverän – der 18. Sachverständige – seine Möglichkeiten wirklich wahrnimmt und aktiv mitwirken möchte? Wurden hier die Mitbestimmungsmöglichkeiten vielleicht hochgelobt, ehe man sich in Berlin bewusst wurde, was eine solche Öffnung – und sei es zunächst auch nur in einer einzigen Kommission – bewirken kann?

Für den 21. Februar 2011 ist eine öffentliche Sondersitzung der Kommission angesetzt. Dann soll noch einmal über das Veto des Ältestenrates gesprochen werden.

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