Wissenschaft, Politik und Medien schauen aktuell gebannt auf ein einziges Dokument. Die Doktorarbeit des Bundesverteidigungsministers zu Guttenberg steht in der Kritik – ganze Passagen sollen nicht beziehungsweise nicht ausreichend mit Quellenangaben versehen worden sein.
Das neue GuttenPlag Wiki will auf 286 von 475 Seiten solche Stellen gefunden haben (Stand: 21.02.2011), das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ spricht in seiner aktuellen Ausgabe (08/2011) von insgesamt 62 zweifelhaften Passagen. Der mediale Aufschrei ist groß, die Reaktionen von Seiten der Opposition sind, wenn es sie überhaupt gibt, leise und selten. Dort wartet man ab – angeschürt werden muss momentan ohnehin nicht. Zuletzt verzichtete der Minister freiwillig und dauerhaft auf das Führen des Titels.
Es besteht kein Zweifel: Zitate müssen in der Promotionsschrift und in allen anderen wissenschaftlichen Arbeiten kenntlich gemacht werden. Geschieht dies nicht, kann die Arbeit als ungültig erklärt oder der akademische Grad nachträglich wieder entzogen werden. Außerhalb von Universitäten sieht das bisweilen ein wenig anders aus. Insbesondere im Netz wird gern hin- und herkopiert. Copy&Paste, nicht grundlos ein geläufiger Begriff.
In den meisten Fällen ist diese Mehrfachverwertung völlig legitim und oftmals sogar gewollt – schließlich ist es genau das, was das Web 2.0 ausmacht: User Generated Content. Die Nutzer sichten Inhalte, leiten sie weiter, bearbeiten sie, stellen sie in Relation zu anderen Informationen und bewerten sie. In der Mehrheit aller Fälle ist dies eine Win-Win-Situation.
Auch die Politik ist online. Bisweilen noch etwas unbeholfen, aber mehr und mehr mit dem Medium vertraut. Einige Abgeordnete des Bundestages führen eigene Blogs – einige sogar mit gutem Erfolg. Weblogs können in ihrer Erscheinung und dem Inhalt sehr variieren. Politiker-Weblogs sollen vermutlich in erster Linie Einfluss auf das Image und die Außenwirkung des Abgeordneten ausüben. Und das ist vollkommen legitim. Als Instrument zur politischen Willens- und Meinungsbildung haben sie daher durchaus Potenzial. Wenn nun also Abgeordnete ihre Standpunkte online äußern und vertreten, dann sollte davon ausgegangen werden, dass es sich auch wirklich um die Meinung, Information oder Einschätzung eines Abgeordneten handelt.
Im Fall des Blogs des SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Kelber ist dies offenbar nicht der Fall. Besonders fällt in diesem Zusammenhang der Beitrag „Der Gentechnik-Betrug“, ein kritischer Artikel über die Nutzung von gentechnisch verändertem Saatgut, auf. Der Blog-Eintrag enthält ausschließlich Passagen eines Beitrags von der Webseite des bayerischen Futtermittelherstellers Josef Feilmeier. Zum einen ist der Blog-Eintrag Kelbers dahingehend nicht gekennzeichnet, zum anderen hat der Abgeordnete den Text um einige (in der Aussage aber entscheidende) Passagen geändert.
So schreibt Feilmeier am 25.06.2010 beispielsweise über das Spannungsfeld von Milch und genveränderten Futtermitteln.
„Diese Kontamination ist gesetzlich verboten. Aber anstatt hier das Gesetz walten zu lassen, sucht man nach Lösungen, aus dem Gesetzesverstoß eine zulässige Realität zu machen.“
In Kelbers Artikel, findet sich die Aussage am 05.07.2010 wie folgt wieder:
„Diese Kontamination ist gesetzlich verboten. Aber anstatt hier das Gesetz walten zu lassen, suchen Bauernverband, CSU, CDU und FDP nun nach Lösungen, aus dem Gesetzesverstoß eine zulässige Realität zu machen.“
Als Autor ist in Kelbers Weblog angegeben: „Uli Kleber“. Das ist eindeutig. Das Urheberrecht gilt auch im Netz – das ist unbestritten. Darüber hinaus ist es nirgends leichter die Verwendung fremder Texte nachzuweisen. Wieso also werden – und der Kelber-Blog sei an dieser Stelle nur als Beispiel genannt – Texte ohne entsprechende Kennzeichnung weiterverwendet? Ist es die Unwissenheit über die rechtliche Lage im Netz? Werden die Abgeordneten durch ihre Referenten schlecht oder falsch beraten? Und für den Fall, dass die Weblogs von eben jenen Mitarbeitern betrieben werden: Ist den Abgeordneten bewusst, welch fröhliches Copy-Paste in ihrem Namen betrieben wird?
Neben dem Urheberrecht wird bei der „Text-Leihe“ noch ein anderer Aspekt verletzt: die Möglichkeit zur Partizipation. Gerade Politiker-Blogs bieten in hohem Maße die Möglichkeit, sich mittels der Kommentarfunktion über das Geschriebene zu äußern, dem Abgeordneten beizupflichten, ihm zu widersprechen und Kritik zu üben. Um den Sinn dieser Möglichkeit wird der Leser bei einem Fremd-Text betrogen. Für eine echte Partizipation bedeutet dies das Aus. Erkennt der Leser den Betrug, so verliert das Blog augenblicklich seinen Wert als Instrument politischer Kommunikation.
Nachtrag: Mittlerweile hat Ulrich Kelber den Blog-Eintrag angepasst und die Quelle offengelegt. (Stand: 09.04.2011)